Vor einer Woche blickte ich während einer Bergwanderung in Italien auf mein Handy und mir wurde schlagartig klar: Ich habe ein Jubiläum! Vor genau 10 Jahren, am 14.7.2014, habe ich meine Bachelorarbeit eingereicht. Sie war der Abschluss meines Zweitstudiums und ein Neubeginn, von dem ich nicht wusste, wohin er mich führen würde.
Meine Wanderfreund*innen waren neugierig: Ach ja, interessant, wovon handelte sie denn, deine Bacherlorarbeit?
Ich wühlte in den Tiefen meiner Erinnerung nach prägnanten Antworten und musste feststellen, dass ich, außer der Kernbotschaft, so ziemlich alles vergessen hatte.
Zurück in Berlin nahm ich das leicht staubige Dokument aus dem Bücherregal. Was hatte ich mir damals für eine Mühe gegeben; welches Papier, welche Farbe, welche Schriftart – und das alles, um nie wieder einen Blick darauf zu werfen!?!
15 Jahre nach Abschluss meiner Schauspielausbildung habe ich im Zweitstudium Skandinavistik und Europäische Ethnologie studiert. Das Thema meiner Bachelorarbeit speiste sich aus diesen beiden Fächern kombiniert mit meiner eigenen Lebenssituation. Ich habe als Schauspielerin hauptsächlich bei Film und Fernsehen gearbeitet. Das Thema „Film“ lag für mich auf der Hand. Außerdem war ich alleinerziehend und die Darstellung Alleinerziehender in den Medien interessierte mich. Der Titel meiner Bachelorarbeit lautete folgerichtig:
“Alleinerziehende im zeitgenössischen Schwedischen Jugendfilm”
Die Arbeit daran hat mich vor viele Herausforderungen gestellt. Mein Hauptberuf war nach wie vor die Schauspielerei, das Studium im Grunde genommen ein „Hobby“ (ein sehr zeitintensives noch dazu). Ich habe gedreht, beim Radio gesprochen, mit meinem pubertierenden Kind diskutiert und in jeder freien Minute an der BA gesessen. Trotzdem war es eine tolle Zeit für mich. Die Möglichkeiten, die mir die Universität bot, die vielfältigen Eindrücke, die neuen Kontakte, der tägliche Input – ich fand es herrlich!
Ein Blick zurück: Was hat sich getan seit 2014?
Als ich die Arbeit nun, zehn Jahre später, noch einmal las, stellte ich fest, dass der Text nichts an Relevanz verloren hat. Seit 2014 ist viel passiert, auch in der Filmwelt. Die Geschlechterverteilung vor der Kamera wird ebenso vermehrt unter die Lupe genommen wie die hinter der Kamera. 2014 wurde der Verein „ProQuote Regie“ gegründet (der sich 2018 in „ProQuote Film“ umbenannte) mit dem Ziel, den hohen Absolventinnen-Zahlen der Regieausbildung eine angemessen hohe Zahl von arbeitenden Regisseurinnen folgen zu lassen. Das war (und ist) nämlich keineswegs der Fall. Der Verein weist darauf hin, dass „sich in Schweden durch die Einführung einer Quotenregelung der Anteil der Frauen in Schlüsselpositionen bei Filmproduktionen ungefähr dem Bevölkerungsanteil angeglichen hat“ (Wikipedia Juli 2024).
Ist in Schweden alles besser?
Aufgrund solcher Fakten ging ich bei der Vorbereitung meiner Bachelorarbeit von der Vorannahme aus, dass Alleinerziehende in zeitgenössischen schwedischen Jugendfilmen positiv dargestellt würden, Männer wie Frauen, denn Schweden ist doch so fortschrittlich, dachte ich.
Zunächst einmal stellte sich heraus, dass es, entgegen meiner Erwartung, zu diesem Thema fast keine Literatur gab. Es blieb mir nichts anderes übrig, als auch amerikanische und deutsche Studien in die Arbeit mit einzubeziehen, vor allem aber musste ich quasi meine eigene Studie mit eigenen Kriterien erstellen, wenn ich zu einem aussagekräftigen Gesamtbild kommen wollte.
Plötzlich Forscherin
Es geht in diesem Artikel nicht darum, den kompletten Inhalt meiner Bachelorarbeit wiederzugeben, aber einige Aspekte fand ich beim Wiederlesen so interessant, dass ich sie hier erwähnen möchte. Wie gesagt, diese Arbeit hat 2024 ihr 10-jähriges Jubiläum, es handelt sich also nicht um den aktuellen Stand der Forschung. Nichtsdestotrotz ist es für die eine oder andere vielleicht interessant, diese Aspekte, die bei einem einzelnen Film nicht auffallen, in den Kontext zu setzen.
„Good mom – bad mom“ – ich dachte, das gibt es nur bei Cops!
In ihrem Artikel „Cluesless in Hollywood – Single Moms in Contemporary Family Movies“ beschreibt Angharad N. Valdivia, dass Hollywoodfilme zwischen zwei Arten von alleinerziehenden Frauen unterscheiden: „Good moms“ und „bad moms“. In den untersuchten (amerikanischen) Filmen ist eine „bad mom“ jede Mutter, die an einer Scheidung beteiligt war. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Scheidung auf ihr Betreiben hin stattfand oder ob sie verlassen wurde. Eine „good mom“ hingegen ist Witwe. Punkt. Andere von ihrem Partner getrennte „good moms“ gibt es in den untersuchten Filmen nicht.
Valdivias Fazit: „Good moms have happy children. Bad moms have emotionally disturbed or delingquent children“ – also etwa: „Gute Mütter haben glückliche Kinder. Schlechte Mütter haben psychisch/emotional gestörte oder kriminelle Kinder.“ Wow!
Valdivia stellt außerdem fest, dass alleinerziehende Väter in Hollywood (wie auch im deutschen Film) im Verhältnis zu ihrem Bevölkerungsanteil überrepräsentiert sind.
Kriterien für die Studienteilnahme
Untersucht wurden acht Filme aus dem Zeitraum 2003 bis 2013. Die Kriterien für die Teilnahme an meiner Studie waren:
- Der Film richtet sich an Jugendliche.
- Die jugendliche Hauptfigur lebt mit einem alleinerziehenden Elternteil zusammen.
- Der Film ist zeitgenössisch, also in den Jahren 2003-2013 entstanden.
Die untersuchten Filme
Untersucht habe ich die Filme
- Apflickorna von Lisa Aschan
- Sebbe von Babak Najaf
- I rymden finns inga känslor von Andreas Öhman
- I taket lyser stjärnorna von Lisa Siwe
- Låt den rätte komma in von Tomas Alfredson
- Faro von Fredrik Edfeldt
- Sandor slash Ida von Hendrik Georgsson
- Hip hip hora! von Teresa Fabik
Alleinerziehende führen ein trauriges Leben
Was die alleinerziehenden Eltern in all den untersuchten Filmen vereint ist die Tatsache, dass sie ein mangelhaftes Leben führen: Es mangelt an sozialen Beziehungen, es mangelt an Hobbys, Interessen, Leidenschaften und es mangelt an Unterstützung. Für die jugendlichen Zuschauer*innen entsteht ein wenig attraktives Bild dieser Familienform.
Alleinerziehender Vater versus alleinerziehende Mutter
- Es entspricht der Gleichberechtigung und einem modernen Familienbild, dass Männer als Alleinerziehende gezeigt werden, denn das sorgt für eine Normalisierung dieser Familienform
- Die Filmtradition ist „eine Tradition des Nicht-Vorkommens von Frauen. 1975 waren mehr als zwei Drittel aller geschehens- und handlungsbestimmenden Personen in den Filmen Männer, d. h. Haupt- bzw. bedeutende Nebenrollen wurden nur zu 32% von Frauen besetzt. In einer weiteren Studie von 1990 hatte sich das Verhältnis zuungunsten der Frauen noch verstärkt: Jetzt waren nur noch 24,3% der Haupt- und wichtigen Nebenrollen mit Frauen besetzt. Im Jahr 2002 stellt Lukesch fest, dass fast zweieinhalbmal so viele Männer wie Frauen im Fernsehen zu sehen sind (…)“*
Ist also die Häufigkeit der Darstellung männlicher Alleinerziehender nur die Fortführung der männlichen Dominanz in Filmen in einem neuen Kontext? Und wie kommt es zu der unterschiedlichen Bewertung? In schwedischen Jugendfilmen der Jahre 2003-2013 macht es einen großen Unterschied, ob die (Film-) Kinder mit einem Vater oder einer Mutter aufwachsen. Das Leben mit männlichen Alleinerziehenden ist lustig und unkompliziert, das mit weiblichen Alleinerziehenden geprägt von gravierenden Problemen wie Sucht, Einsamkeit oder Krankheit.
Hat sich dieses Narrativ in den vergangenen zehn Jahren verändert? Es würde mich sehr reizen, dieser Frage nachzugehen und vielleicht bietet sich irgendwann die Gelegenheit. Bis dahin, lass mich gerne in den Kommentaren wissen, welche Beobachtungen du gemacht hast, oder vielleicht auch, wie die Darstellung Alleinerziehender dich als Jugendliche*r erreicht hat.
Quellen
Die oben genannten Zitate stammen von:
Sigfridsson, Helene in: Vem är familjen. Projektet finsansieras av Ungdomsstyyrelsen och organiseras av Forum för feministiska föräldrar, www.foff.se, Stockholm 2010
Hannover, Irmela/Birkenstock, Arne: Familienbilder im Fernsehen – Familienbilder und Familienthemen in fiktionalen und nicht-fiktionalen Fernsehsendungen. Adolf-Grimme-Institut (Hrsg.), Köln 2005
Valdivia, Angharad N.: Clueless in Hollywood: Singel Moms in Contemporary Family Movies, Journal of Communication inquiry, 1998