Eine Lesung vor Publikum ist ein einmaliges, unmittelbares und unvergessliches Erlebnis. Eine Lesung bietet die Chance, mehr zu geben als nur den reinen Text.
Sich als Autor*in oder Sprecher*in zu zeigen, ermöglicht es uns, dem Text eine völlig einzigartige Ebene hinzuzufügen, nämlich die eigene Perspektive.
Unsere Werkzeuge zur Vermittlung dieser Perspektive sind die Stimme, der Atem, das Tempo, Sprachrhythmus und Artikulation. Diese eigene Perspektive darf und soll hörbar werden.
Eine Live-Lesung erfordert meiner Erfahrung nach eine intensivere Vorbereitung als das Lesen im Radiostudio. Zum einen, weil live eben live ist und man nicht nochmal von vorne anfangen kann, zum anderen, weil immer etwas Unerwartetes geschehen kann, seien es technische Probleme, Unruhe im Publikum oder eine fehlerhafte Anmoderation.
Eine gute Vorbereitung sorgt für Gelassenheit und verleiht Unabhängigkeit von den äußeren Umständen.
„Live“ bedeutet „im hier und jetzt“ zu sein. Man nimmt die Energie des Publikums wahr, spürt die Nachdenklichkeit, hört die Lacher. Diese Energie trägt durch den Abend und hilft über vermeintliche Schnitzer hinweg.
Jemand kommt zu spät und fällt über den Regenschirmständer? Wir atmen kurz durch und machen, wenn alles sich wieder beruhigt hat, weiter im Text.
Hier habe ich die 7 Schritte meiner eigenen Vorbereitung zusammengestellt. Wenn du darüber nachdenkst, selbst als Sprecher*in aufzutreten, soll dieser Ablauf dich bei deiner Vorbereitung unterstützen und ermutigen.
Wenn du darüber hinaus Unterstützung von mir haben möchtest, dann buche dir hier ein kostenloses Kennenlerngespräch für mein Einzelcoaching „Authentisch präsentieren“, damit wir klären, wie deine Lesung ein Knaller wird.
1. Schritt: Der Textausschnitt
Welcher Text oder Textausschnitt soll gelesen werden? Wenn du das selbst entscheiden kannst, dann rate ich dir zu einer Szene, in der was los ist. Landschaftsbeschreibungen, innere Monologe oder Texte, die das eigentliche Geschehen vorbereiten, in denen selbst aber wenig passiert, können schön sein, wenn sie toll geschrieben sind. Bei einer Lesung achte ich aber auf ein bisschen „Action“. Das kann ein Dialog sein, ein überraschender Moment, eine Pointe. Als würden wir gemeinsam mit dem Publikum einen Berg erklimmen und am Ende lachend oder weinend oder erleichtert alle zusammen auf dem Berggipfel stehen. Noch ein Gedanke zum zeitlichen Rahmen: Viele Leser*innen möchten viel bieten für´s Geld. Bei mir ist mein Name Programm: Weniger ist mehr! Ich finde es besser, wenn ein Publikum wach und inspiriert zurückbleibt als wenn es sagt: War schön, aber seeehr lang. Es kommt immer auf die Umstände an. Beziehe sie ein. Bist du die zwölfte Leserin an einem Abend? Dann wähle einen kurzen Text. Dreht sich alles nur um dich und dein Buch? Dann lies vielleicht drei Auszüge von 10-20 Minuten Länge. Ich würde immer mit einem längeren Part beginnen und im Laufe der Veranstaltung, mit abnehmender Konzentration des Publikums, kürzere Passagen wählen.
2. Schritt: Text üben
Ich kann, wie viele andere Sprecher*innen auch, „prima vista“ lesen, auf den ersten Blick, also direkt beim Ablesen den Text bereits gestalten. In manchen Studios sehe ich den Text erst in der Sekunde, in der ich ihn sprechen soll und es klappt trotzdem meistens gut. Nur: Im Studio ist es kein Problem, wenn es nicht funktioniert. Das sieht auf der Bühne vor Publikum anders aus. Ich würde sogar noch weiter gehen. Auf der Bühne „lese“ ich nicht wirklich. Ich kann den Text fast auswendig (siehe dazu auch meinen Blogartikel: In 9 Schritten Text auswendig lernen) und das Buch oder die Präsentation dienen eher als Gedächtnisstütze. Das bedeutet, die Vorbereitung braucht Zeit. Lies den Text laut, und das nicht nur einmal. Höre dir selbst zu. Bedenke, dass deine Zuhörerschaft den Text zum ersten Mal hört und nicht, wie bei einem geschriebenen Text, vor und zurück blättern kann. Das Publikum ist darauf angewiesen, dass du ihm Zeit zum Verarbeiten des Gehörten zugestehst. Daher: Pausen sind ein Geschenk an dein Publikum. Notiere sie dir im Text, damit du sie in der Aufregung nicht vergisst.
Warte mit dem Üben nicht bis einen Tag vor der Lesung, um dann festzustellen, dass da einige schwierige Passagen zu überwinden sind, die du in der Kürze der Zeit nicht mehr ausreichend trainieren kannst. Mache dir einen Plan in deinem Kalender, wann du üben willst. Hast du drei Wochen Zeit und relativ wenig zu tun, ist es entspannt. Du solltest dir trotzdem feste Übezeiten eintragen, damit du am Ende nicht in Stress gerätst.
Üben gibt uns Sicherheit im Umgang mit dem Text. Viele Feinheiten offenbaren sich erst bei mehrmaligem Lesen, so wie man in einem guten Film beim zweiten Gucken plötzlich Anspielungen und Hintergründigkeiten entdeckt, die einem beim ersten Mal entgangen waren. Es macht großen Spaß und ist ein tolles Gefühl, in einem Text, den man schon viermal gelesen hat, beim fünften Mal festzustellen: „Ah, so wird es lustiger, so hole ich die Pointe heraus“ oder: „Ach, das sagt sie, obwohl sie das Gegenteil meint.“ Diese Hintergründigkeiten lassen sich beim Vortragen wunderbar vermitteln – sie müssen uns nur vorher klar geworden sein.
2. 1 Aus dem eigenen Buch lesen
Alles, was hier im 2. Schritt steht gilt auch für Autor*innen, die ihre eigenen Texte vor Publikum lesen möchten.
Die Erfahrung zeigt, dass einige Autor*innen ihre Texte für Lesungen nicht allzu gründlich vorbereiten, weil sie davon ausgehen, dass sie den Text sehr gut kennen. Dieses „gut kennen“ reicht für eine öffentliche Lesung nicht. Gerade als Autor*in sollte man den Text in der Vorbereitung einer Lesung neu erkunden. Denn das Lesen vor Publikum beinhaltet völlig neue Ebenen: den Klang, den Raum, die Technik und last but not least die Menschen, die wir mit unserer Lesung erreichen, berühren, fesseln wollen.
Wenn etwas zu selbstverständlich ist, geben wir ihm manchmal nicht genug Aufmerksamkeit. Das erlebe ich in meinen Präsentationsworkshops immer wieder: der eigene Name, der Firmenname oder die Projektbezeichnung werden „hingenuschelt“, weil man unterbewusst davon ausgeht, dass das, was man selbst schon hunderte Male gesagt hat, auch dem Publikum bekannt ist. Das ist nicht der Fall.
Mein Tipp lautet daher: Versuche den Text so vorzubereiten, als wäre er von jemand anderem geschrieben. Als Sprecherin möchte ich der Kunst einer Autorin oder eines Autors gerecht werden, auch deshalb bereite ich mich intensiv auf eine Lesung vor. Wenn es sich um deinen eigenen Text handelt, werde dir selbst als Autor*in gerecht. Plane die Vorbereitung, als hättest du den Text noch nie zuvor gesehen.
3. Schritt: Biete Mehrwert
Mein Credo ist: Eine Lesung soll mehr bieten als die Zuhörerschaft zuhause alleine mit dem Buch erleben würde. Darum begebe ich mich von Anfang an auf die Suche nach Möglichkeiten, etwas Besonderes zu kreieren. Das können unterschiedliche Stimmen sein, die die Figuren im Buch erhalten, das können Geräusche sein, Requisiten oder Pausen, die einer Situation ein besonderes Gewicht geben. Hauptakteur ist dennoch der Text. Du willst nicht die Aufmerksamkeit auf dich als Person ziehen, sondern du willst dem Text Leben einhauchen. Begib dich während der Vorbereitung auf die Suche nach den seltsamen Momenten, der unerwarteten Stille, dem Zögern einer Figur, die kleinen Schnörkel, Ideen, Witze, die wir als Kirschen auf der Torte hinzufügen und damit die eigentliche Aussage des Textes verstärken können. Markiere dir diese Stellen im Text (ich nutze Textmarker, sowohl analog als auch digital), damit du nicht davon überrascht wirst. Den Textmarker siehst du schon, wenn du noch drei Zeilen vorher liest und weißt „Ah, gleich kommt die Stelle mit dem Monster“. Auch Atempausen, Innehalten, Tempoänderungen kannst du dir im Text mit einem Zeichen notieren. Hilft bei kurzzeitiger Verwirrung enorm.
4. Schritt: Raum, Licht, Ton
Diese Eckpunkte stellen die Bedingungen für deine Lesung, darum ist es hilfreich, sich im Vorfeld mit ihnen zu beschäftigen. In einem vertrauten Raum ist man automatisch weniger nervös als auf unbekanntem Terrain. Frage daher, ob du den Raum vor dem Event besuchen darfst. Wenn das nicht möglich ist, frage die Veranstalter nach den technischen Gegebenheiten. Das ist nicht nur wichtig für dich, das zeigt auch, wie professionell du die Veranstaltung angehst. Wie groß ist der Raum? Je größer der Raum, desto langsamer solltest du lesen. Das kannst du in der Übungsphase von Schritt 2 gleich mit einplanen.
4.1 Gibt es bekannte Probleme?
Ich habe Anfang des Jahres in einem wunderschönen Kunstatelier gelesen. Als ich dort ankam stellte ich fest, dass der Raum 5 Meter hohe Decken besaß und die Akustik mit der einer sehr großen Kirche vergleichbar ist. Zum Glück konnte ich mich darauf einstellen, indem ich übertrieben langsam, übertrieben kraftvoll und übertrieben artikuliert gelesen habe. Leider konnten die anderen Teilnehmer der Veranstaltung nicht so schnell umschalten. Hinterher wurde mir gesagt, man habe nur mich verstanden. Das ist bei all der Mühe, die so ein Programm auf vielen Ebenen erfordert, sehr schade. Deswegen ist es wichtig, sich auf solche Eventualitäten vorzubereiten. Mich hat diese Situation gelehrt, künftig im Vorfeld zu erfragen, ob es bekannte Probleme gibt. Dadurch erspare ich mir manche Überraschung und kann mich entsprechend vorbereiten.
4.2 Licht
Ist für ausreichende Beleuchtung deines Lese-Textes gesorgt? Wenn man dir das nicht zusagen kann, lies den Text von einem Tablet, dann hast du dein eigenes Licht, oder bring dir eine Tischlampe mit und bitte (möglichst einige Tage vorher) um ein Verlängerungskabel. Auch nicht umwichtig: Ist für die ausreichende Beleuchtung von dir gesorgt? Sowohl Leser*innen als auch Veranstalter finden das gerne mal nebensächlich, da es ja „um den Text geht“. Nein, das ist hier kein Hörbuch. Es geht um den Text, aber es geht auch um die Sprecherin des Textes und die möchte man als Publikum sehen können.
4.3 Ton
Gibt es ein Mikrofon? Und gibt es auch einen Mikrofonständer? Ohne letzteren hast du das Mikrofon dauerhaft in der Hand, während du vielleicht im Text blättern oder dein Tablet neu starten musst. Ein Mikrofonständer bietet dir beide Varianten: Du kannst das Mikro in die Hand nehmen, du kannst es aber auch einstecken, hast die Hände frei und wirst immer noch gehört.
Wenn es ein Mikrofon gibt, nimm unbedingt am Soundcheck teil. Jeder Raum, jedes Mikro klingt ein bisschen anders und du möchtest bei deinen ersten Worten nicht von dem ungewohnten Klang überrumpelt werden. Ganz ohne Mikro würde ich nur vor kleinem Publikum in einem kleinen Raum lesen. Das kann sehr schön und intim sein, aber sobald mehr als 15 Leute vor Ort sind, würde ich für nicht-ausgebildete Sprecher*innen ein Mikro empfehlen, denn sonst kämpft man möglicherweise mit der Lautstärke (drei Dauer-Huster können dir das Leben auf der Bühne sehr schwer machen) und kann sich nicht so gut auf das Wesentliche konzentrieren.
5. Schritt: Das Publikum
Je mehr du über dein Publikum weißt, desto besser. Wie alt ist es, welche Interessen herrschen vor, ist es eher weiblich, eher männlich oder gemischt? Frage auch hier die Veranstalter nach ihrer Einschätzung bzw. hast du sicher auch eigene Erfahrungswerte. Mach sie dir bewusst. Das ist für deine Kommunikation mit dem Publikum hilfreich.
6. Schritt: Dein Look
Überlege dir, wie du bei der Lesung in Erscheinung treten möchtest. Dezent und zurückhaltend? Dann ist sicher schwarz oder dunkelblau eine gute Wahl. Als Künstler oder Autorin möchtest du auch dich selbst präsentieren? Dann darf es ruhig auffallender sein. Ein wenig Glitzer sieht auf der dunklen Bühne schön aus und hebt dich hervor, ein komplett mit Pailletten besticktes Oberteil spiegelt das Scheinwerferlicht und macht dich zum strahlenden Zentrum des Bühnengeschehens. Entscheidend ist, was du willst. Bedenke auch, was man überhaupt von dir sehen wird: Eine bunte Satinhose zum schlichten Oberteil ist wenig hilfreich, wenn du den ganzen Abend hinter einem mit schwarzem Molton zugedeckten Tisch sitzt und man von der Hose nichts sieht. Die Hauptsache ist, wie immer, dass du dich in deinen Klamotten wohl fühlst. Sie sollen deine Absicht widerspiegeln, dich möglichst nicht einschnüren (wir wollen atmen!) und dir ermöglichen, unfallfrei über die Bühne zu laufen.
7. Schritt: Atem und Stimme
Regelmäßige Atem- und Stimmübungen sind für Schauspieler*innen, Sprecher*innen und Sänger*innen selbstverständlich. Sich vor einer öffentlichen Lesung mit Atem und Stimme zu beschäftigen, ist nicht nur äußerst sinnvoll, es macht außerdem auch Spaß.
Ich habe für eine einfache Beschäftigung mit der Atmung das PDF „6 Übungen für den Atem“ und für ein wenig zeitintensives „Kennenlernen“ der Stimme das PDF „Zwei Minuten für die Stimme“ erstellt, die du dir zusenden lassen kannst.
Mache diese Übungen regelmäßig über die Dauer deiner Vorbereitungen. Wenn du dir albern dabei vorkommst, mach sie trotzdem. Du wirst dadurch einen intensiveren Kontakt zu Atem und Stimme herstellen, mehr Selbstvertrauen entwickeln und die Zusammenarbeit von Körper und Stimme während eines Auftritts stärken.
Wenn du tiefer eintauchen möchtest, findest du in diesen beiden Blogartikeln weitere Informationen und Anregungen: „Was ist Bauchatmung“ und „Die Stimme – dein unverwechselbarer Klang“.
7.1 Immer eine gute Idee: Wasser
Als ganz junge Schauspielerin habe ich mal ein amerikanisches Buch über Schauspielerei gelesen (ich kann mich an den Titel nicht erinnern). Dort stand, man solle (am Set) nichts erwarten, sondern alles selbst dabei haben. „To brownbag“ wurde das da genannt, also die eigene Verpflegung in einer (braunen) Papiertüte mit ans Filmset bringen. Gerade an Orten, an denen es keine regelmäßigen Auftritte gibt, ist es eine gute Idee, einen kleinen Snack, vor allem aber Trinkwasser und (das habe ich erst neulich wieder erlebt, dass es zwar Flaschen gab, aber keine Gläser) selbst ein Trinkgefäß dabei zu haben.
Vor Publikum zwischen zwei Sätzen aus einer Flasche zu trinken mag lässig wirken, aber es ist wenig elegant, wenn einem dann der Sprudel in die Nase blubbert, daher war ich froh, dass ich meinen schönen Picknickbecher im Gepäck hatte.
Zu guter Letzt: Nimm es leicht
Du hast alles getan, was du tun konntest, du bist bestens vorbereitet. Vergiss alles „was, wenn…“ und sei offen für Leichtigkeit und Humor. Lasse dir Zeit beim Lesen, mach Pausen. Auch wenn nur du sprichst, ist eine Lesung ein Dialog, kein Monolog. Du bist in Kontakt mit dem Publikum, du hörst es atmen und reagieren, du nimmst seine Stimmung auf und gibst die Stimmung des Textes zurück. Geben und nehmen und alles im Moment der Präsenz. Das kann keine Aufnahme bieten! Sei dir darüber bewusst und genieße es!
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