Seit einigen Jahren interessiere ich mich sehr für das Improvisations-Theater, kurz: Improtheater. Das ist eine Theaterform, die von den spontanen Eingebungen, Entscheidungen und Ideen der Teilnehmenden lebt. Anders als im klassischen Theater gibt es keine Proben, in denen bestimmte Abläufe festgelegt und einstudiert werden, sondern die Vorbereitung besteht darin, sich in einen kreativen, durchlässigen und mutigen Zustand zu bringen. So vorbereitet, reagiert man auf die Situation, z. B. einen vom Publikum vorgeschlagenen Ort, ein Genre oder eine Beziehungsform. Aus dieser spontanen Vorgabe entwickeln die Spieler*innen eine Szene.
Zu diesem Artikel wurde ich inspiriert durch ein viertägiges Training bei Sara Šoukal im Rahmen der Sommerakademie der Gorillas Berlin. Alle Fotos im Artikel stammen von dort. Vielen Dank dafür an Terezie!
Spiele und Übungen
Im Improtheater hat sich im Laufe der Jahre ein reichhaltiger Fundus von Spielen und Aufwärmübungen für diesen kreativen Prozess entwickelt. Schon viele Jahre nutze ich manche dieser Spiele in meinen Workshops, da sie sich auch für die Vorbereitung einer Präsentation bewährt haben.
Energetischer, humorvoller und mutiger
Einige der zugrundeliegenden Prinzipien möchte ich in diesem Artikel näher beleuchten. Was können wir uns beim Improtheater abgucken, um energetischer, humorvoller und mutiger zu präsentieren?
5 Methoden aus dem Improtheater
- Aufwärmen von Stimme und Körper
- Ja, und…
- Scheiter heiter
- Fühlt sich das Publikum schlau?
- Trainiere, womit du dich unwohl fühlst
Methode 1: Aufwärmen
Das Aufwärmen von Körper und Stimme ist essentiell. Alle, die meine Workshops besucht haben, können ein Lied davon singen: Ohne Aufwärmen geht bei mir nichts. Warum? Aus genau dem gleichen Grund, aus dem auch die Impro-Spieler*innen Körper und Stimme vor dem Auftritt aktivieren. Ein aktivierter Körper entlastet das Gehirn. Er wird Teil des Spiels, ist beteiligt und „mit ins Boot geholt“. Nicht-aktivierte Körper machen beim Präsentieren seltsame Dinge, wie „auf-einem-Bein-stehen“, „am-Pulli-zupfen“ oder „die-Hände-leblos-herabhängen-lassen“.
Ein aktivierter Körper gibt uns Selbstvertrauen und Präsenz. Eine nicht-aktivierte Stimme klingt häufig flach, manchmal zu hoch, selten einladend. Eine aktivierte Stimme hingegen ist voll, sie liegt im angenehmen Bereich der Indifferenzlage, sie klingt einladend und ist mit dem Körper verbunden.
Methode 2: „Ja, und…“
„Ja, und“ ist ein durchgängiges Motiv des Improtheaters. „Ja, und…“ bedeutet, dass wir annehmen, was auf der Bühne geschieht. Wir sagen „Ja“ und gehen mit dem „und“ weiter zum nächsten Schritt. In der Welt des Präsentierens ist es vielleicht nicht ein Mitspieler auf der Bühne, sondern beispielsweise ein unerwartetes Ereignis, zu dem wir „Ja, und…“ sagen können.
Vielleicht kennst du die berühmte Geschichte von Kurt Tucholsky „Ein Ehepaar erzählt einen Witz“. Sie ist ein gutes Beispiel, warum „Ja, und…“ beim Sprechen vor Publikum eine sinnvolle Methode ist. In der Geschichte beginnt die Ehefrau, Herrn Panter (Kurt Tucholsky) einen kürzlich gehörten Witz zu erzählen. Ihr Mann unterbricht, der Witz spiele nicht in den Alpen, sondern in den Dolomiten und von nun an unterbrechen sie sich gegenseitig, spicken die Erzählung mit widersprüchlichen Kommentaren und am Ende stürmt das Ehepaar türenknallend auseinander und Herr Panter hat nur den halben Witz gehört. Das ist natürlich eine Überspitzung, aber ähnliche Erzählungen haben die meisten von uns schon gehört. Erzählungen, bei denen es nicht um den Inhalt geht, sondern um die Beziehung der Erzählenden, darum, wer Recht hat, darum, wer die Redezeit (vermeintlich) besser nutzen kann. Das Problem an der Sache: es macht keinen Spaß, zuzuhören. Alles verheddert sich in einem „es war so“, „nein, es war anders“, „stimmt nicht, es war so“.
Was wäre passiert, wenn das Ehepaar die „Ja, und…“-Methode gekannt hätte? Der Mann hätte gesagt: „Ja, der Witz spielt in den Alpen.“ Die Frau hätte gesagt: „Ja, in den Alpen. Dort kommt ein Wanderer an ein Bauernhaus.“ „Stimmt, und in dem Bauernhaus wohnen zwei Menschen.“ Bei dieser Erzählform hätte Herr Panter nicht nur das Ende des Witzes gehört, das Ehepaar hätte sich an seiner brillanten Vortragsweise und an der Pointe erfreuen können.
Beim Präsentieren können wir diese Technik zum Beispiel einsetzen, wenn ein Zuschauer zu spät in der Hörsaal stolpert. Alle sitzen längst, die einleitenden Worte wurden gesprochen und nun das! Die Rednerin kann jetzt denken: „Das ist typisch, mein Vortrag war ihm nicht wichtig, er hat sich verspätet und jetzt stört er hier den Ablauf.“ Oder sie kann denken: „Ja, da kommt noch jemand, den mein Vortrag interessiert. Wie schön. Und jetzt weiter im Text“.
Welche Version unterstützt die Rednerin in ihrem Vorhaben besser? Welche lässt sie geschickt improvisieren und vielleicht noch ein „Herzlich Willkommen, hier vorne ist noch ein Platz frei!“ hinzufügen? Auf der Impro-Bühne blockiert ein Spieler die Handlung, wenn er z. B. antwortet: „Wie kommen Sie darauf, meine Katze ist doch garnicht weggelaufen?“ oder „Nein, ich bin nicht deine Mutter, ich bin nur ein Passant“. Die Spieler können dann anfangen zu diskutieren: „Aber ich habe doch gelesen, dass Sie Ihre Katze vermissen“ oder „Ich kenne doch wohl meine Mutter“. Manchmal ist das lustig, aber häufiger führt es zu einem Hin und Her, das schnell ebenso langweilig wird wie das witzeerzählende Ehepaar.
Auf der Bühne wollen wir eine Handlung, ein Vorankommen sehen, bei einer Präsentation wollen wir hören, was die Rednerin uns zu sagen hat. Ob da jemand zu spät kommt, spielt für das Publikum keine große Rolle.
„Ja, und…“ lässt mich immer an die fließenden Bewegungen von Tai Chi denken. Da kommt ein Angriff, die Energie der Bewegung wird aufgenommen und zu etwas anderem verarbeitet. Diese neue Energie wird weitergeleitet. Wenn ich Präsentierende so reagieren sehe, bin ich immer begeistert.
Methode 3: Scheiter heiter
Scheiter heiter ist ein weiteres Motto des Improtheaters. Es ist eine Aufforderung, die Chancen im Scheitern zu sehen und vor allem weiterzumachen. Natürlich ist das auf einer Theaterbühne etwas anderes als bei einem möglicherweise lebensentscheidenden Vortrag. Nützlich ist es dennoch auch für den wichtigen Vortrag. Es kann schließlich immer etwas schiefgehen, sei es die Technik, sei es, dass das wichtigste Jurymitglied noch nicht eingetroffen ist, sei es, dass ein Unwetter tobt. Was hilft es uns, uns nun zu ärgern, alles verloren zu geben, einen Schlussstrich zu ziehen und zu sagen: das war´s mit mir und diesem Karriereschritt, das wird eh nie was? Garnichts.
Was uns hilft, ist, es mit Humor zu nehmen, eine lustige Begebenheit zu erzählen oder sich selbst ein wenig auf die Schippe zu nehmen und dann, wenn die Technik läuft oder das Jurymitglied endlich Platz nimmt, mit einer heiteren Grundstimmung weiterzumachen. „Wo war ich? Ach ja, mein Projekt XY besteht aus vier Phasen…“
Methode 4: Fühlt sich das Publikum schlau oder dumm?
Meine Impro-Trainerin Sara Šoukal (auf Insta als @rakunkat) sagte nach fast jeder Übung während unseres Trainings an das Publikum gerichtet: How do we feel? Do we feel smart? Or do we feel dumb?
Warum ist diese Frage wichtig? Vor vielen Jahren habe ich eine Redenschreiberin kennengelernt. Das Gespräch mit ihr habe ich nie vergessen. Sie sagte mir, dass sie gerne Fremdworte und englische Redewendungen in ihre Reden einbaue. Ich fragte sie, ob der Politiker, für den sie schrieb, gut Englisch spreche. „Nein“, antwortete sie, „im Gegenteil, ich muss ihm immer dazuschreiben, wie es ausgesprochen wird“.
Was war das Ziel dieser Vorgehensweise? Der Redner, und vermutlich auch das Publikum, fühlten sich dumm. Die Einzige, die sich smart fühlen durfte, war die Redenschreiberin.
Wenn wir selbst in einem Publikum sitzen und nichts verstehen, dann verlieren wir normalerweise das Interesse an dem Bühnengeschehen. Und was machen wir, wenn uns „das alles zu hoch“ ist? Wir schauen auf´s Smartphone oder aus dem Fenster, wir stellen im Geiste die Einkaufsliste zusammen oder erinnern uns, dass Andi heute Geburtstag hat.
Kurz: Wir denken über alles mögliche nach und klinken uns aus dem Geschehen auf der Bühne aus.
Wenn wir uns jedoch mitgenommen und angesprochen fühlen, wenn wir verstehen, worum es geht, wenn uns die Inhalte unterhaltsam und inkludierend präsentiert werden, dann vergessen wir, dass wir die Einkaufsliste noch fertigstellen wollten und Andi rufen wir mit „Happy nachträglich“ erst morgen an.
Methode 5: Trainiere, was dir schwerfällt
Train, what you are not comfortable with. Auch das ein Mantra von Sara Šoukal. Alles, was wir gut können, macht uns Spaß, wir tun es bei jeder Gelegenheit und freuen uns daran. Die Dinge, die uns schwerfallen, suchen wir hingegen zu vermeiden. In der Folge werden wir noch besser in allem, was wir ohnehin können und schlechter in allem, was wir vermeiden. In meinen Workshops sind häufig Menschen, die sagen: Ich muss eigentlich beruflich präsentieren, aber ich vermeide es, wo ich nur kann.
Wie sollen sie besser werden? Wie sollen sie Techniken entwickeln, auf die sie sich in aufregenden Situationen verlassen können? Wie sollen sie Erfolgserlebnisse haben und ihre anfänglichen Ängste mit diesen Erfolgserlebnissen überschreiben?
Was für die Bühne gilt, gilt auch für´s Leben
Es bleibt uns nichts anderes übrig, als zu trainieren, was uns schwerfällt. Nur so können wir uns weiterentwickeln, wachsen, stolz auf uns sein und empathisch bleiben, weil wir uns an all die Schwierigkeiten erinnern, die uns unterwegs begegnet sind. Das gilt für´s Improtheater, für das Präsentieren vor Publikum und überhaupt für das ganze Leben. Das Schöne ist, dass uns das Schwierige irgendwann garnicht mehr schwierig erscheint. Oder wie es meine Workshopteilnehmer*innen immer wieder sagen: Oh, das macht ja Spaß!
Es gibt viele Möglichkeiten, das zu trainieren, was uns schwerfällt. Wir könne es alleine oder mit Tutorials probieren, wir können uns einer Gruppe anschließen oder wir können uns einen Profi an die Seite nehmen, der die einzelnen Schritte auf dem Trainingsweg genau kennt. Ich bin so ein Profi und wenn du gerne mit mir arbeiten möchtest, dann schreib mir unter info@ninaweniger.de, gemeinsam finden wir den richtigen Start für deinen Weg.